Das Leben gelingt nicht per se dann, wenn wir reich an Ressourcen und Optionen sind, sondern, so banal, ja tautologisch dies zunächst klingen mag: wenn wir es lieben. Wenn wir eine geradezu libidinöse Bindung an es haben. Es, das sind dabei die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen und mit denen wir es zu tun haben.
Wenn wir sie lieben, entsteht so etwas wie ein vibrierender Draht zwischen uns und der Welt. Dieser Draht wird einerseits gebildet durch das, was Sozialpsychologen intrinsische Interessen nennen, und andererseits durch Selbstwirksamkeitserwartungen. Die Ausbildung von Selbstwirksamkeitserwartungen und von intrinsischen Interessen wiederum korreliert mit der Erfahrung von sozialer Anerkennung – hier liegt eine offensichtliche Brücke zum Ressourcenansatz: Ohne Liebe, Achtung und Wertschätzung bleibt der Draht zur Welt – bleiben die Resonanzachsen – starr und stumm.
„Ohne Liebe, Achtung und Wertschätzung bleibt der Draht zur Welt – bleiben die Resonanzachsen – starr und stumm.“
Prof. Dr. Hartmut Rosa
Das Konzept der Selbstwirksamkeit wurde 1977 von dem kanadischen Psychologen Albert Bandura eingeführt und seither in zahlreichen Einzelstudien weiterentwickelt.[1] Es wurde in vielfältigen Zusammenhängen, etwa in der Arbeits-, Gesundheits- oder Bildungssoziologie, aufgegriffen und fruchtbar gemacht; in Deutschland insbesondere von Ralf Schwarzer und seinem Team.[2] Die Kernidee besteht darin, dass es für die menschliche Handlungs- und Lernfähigkeit, aber darüber hinaus auch für das Eingehen und Aufrechterhalten sozialer Beziehungen und für die Lebenszufriedenheit insgesamt – und damit kurz: für die Qualität der menschlichen Weltbeziehung – entscheidend darauf ankommt, dass Subjekte sich zutrauen, Herausforderungen zu meistern, kontrolliert auf die Umwelt Einfluss nehmen und damit planvoll etwas bewirken zu können:
„Die Menschen schreiben ihrem eigenen Handeln kausale Wirkmacht zu. Für das Verständnis ihres Verhaltens ist nichts wichtiger und durchschlagender als die Überzeugungen, die Akteure bezüglich ihrer Fähigkeit haben, ihre eigenen Handlungen und deren Effekte auf die Umwelt sowie die relevanten Umweltereignisse selbst zu kontrollieren. Wirksamkeitserwartungen beeinflussen daher, wie Menschen denken, wie sie fühlen, wie sie sich motivieren und wie sie handeln.“[3]
Menschen unterscheiden sich demnach insbesondere im Ausmaß, in dem sie sich zutrauen, Aufgaben zu erfüllen, Herausforderungen zu meistern und Ziele zu verwirklichen. Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen wirken sich dabei nach den vorliegenden Forschungsergebnissen positiv auf das Sozialverhalten, auf Lernerfolge, auf den Gesundheitszustand und die Lebenszufriedenheit insgesamt aus, während sich bei niedrigen Selbstwirksamkeitserwartungen die entsprechenden negativen Effekte beobachten lassen, darunter insbesondere auch ein vermehrter Rückzug ins Privatleben, verminderte Engagementbereitschaft und wachsende Unzufriedenheit. Auf diese Weise scheinen Selbstwirksamkeitserwartungen einen wichtigen Indikator für die Beurteilung oder Kritik der Qualität von Weltbeziehungen insgesamt zu liefern.
Dabei lassen sich generelle Selbstwirksamkeitserwartungen, die sich auf die Weltbeziehung als solche richten, von spezifischen Selbstwirksamkeitserwartungen unterscheiden, welche die Einschätzung eigener Fähigkeiten und Kontrollmöglichkeiten im Blick auf bestimmte Tätigkeitsbereiche betreffen. So mag ein Subjekt beispielsweise hohe Selbstwirksamkeitserwartungen hinsichtlich seiner fußballerischen Fähigkeiten, aber niedrige bezüglich seiner mathematischen Begabungen haben. Unabhängig davon aber gilt: Wer hohe Selbstwirksamkeitserwartungen hat, traut sich mehr zu, investiert mehr Energie in die Bewältigung von Schwierigkeiten, setzt sich anspruchsvollere Ziele und hält länger durch, wenn sich Hindernisse in den Weg stellen. Ein spezifisches Charakteristikum von Selbstwirksamkeitserwartungen ist es darüber hinaus, dass sie in beide Richtungen tendenziell selbstverstärkend wirken: Wer die Erfahrung macht, etwas zu können und zu meistern (sei es, einen Freistoß ins Tor zu befördern oder eine Mathematikaufgabe zu lösen), erhöht seine Selbstwirksamkeitserwartung, was zur Folge hat, dass er oder sie sich mehr zutraut, größere Freude an der entsprechenden Tätigkeit hat und daher mehr übt und infolgedessen das nächste Mal noch erfolgreicher agiert, während umgekehrt ein Misserfolgserlebnis das Selbstvertrauen und die „Lust“ auf die entsprechende Tätigkeit untergräbt und infolgedessen die Scheiternswahrscheinlichkeit erhöht.
„Wer über hohe Selbstwirksamkeitserwartungen verfügt, zeigt – wenig überraschend – weniger Angst- und Stresssymptome, vor allem aber verfügt er über mehr und stärkere intrinsische Interessen.“
Prof. Dr. Hartmut Rosa
Wer über eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung verfügt, wird weit eher geneigt sein, die Welt als ein Feld (erregender) Herausforderungen wahrzunehmen, als jemand, der sich kaum zutraut, die Umstände zu kontrollieren und Pläne zu realisieren. Niedrige Selbstwirksamkeitserwartungen (und Kontrollüberzeugungen) lassen die Welt tendenziell als Feld von Bedrohungen erscheinen. Das Subjekt wird dann (in der Sprache Machiavellis formuliert) zu einem Spielball der fortuna, des Glücks und des Schicksals, anstatt durch eigene virtù (Tugend) den Weltlauf oder zumindest die eigene Position in der Welt gestalten zu können. Dabei scheinen Selbstwirksamkeitserwartungen auch einen prägenden Einfluss auf die Angst- und Begehrensstruktur zu haben: Wer über hohe Selbstwirksamkeitserwartungen verfügt, zeigt – wenig überraschend – weniger Angst- und Stresssymptome, vor allem aber verfügt er über mehr und stärkere intrinsische Interessen.
So weit, so gut. Aber was bedeuten die Befunde der empirischen Selbstwirksamkeitsforschung tatsächlich? Meines Erachtens eröffnen sie den Spielraum sowohl für eine instrumentalistisch-kausalistische als auch für eine resonanztheoretische Deutung, wobei die psychologische Forschung bisher erkennbar der ersteren zuneigt. Danach ginge es bei der Selbstwirksamkeit um die Fähigkeit, Interessen zu verfolgen, Ziele zu erreichen, Welt (und andere Menschen) berechnen und beherrschen zu können und die eigenen Pläne möglichst ohne Abstriche umzusetzen. So verstanden bezögen sich Selbstwirksamkeitserwartungen auf stumme Weltbeziehungen; sie wären umso höher, je erfolgreicher ein Subjekt in der Verfolgung und instrumentellen Umsetzung seiner Absichten wäre.
Dagegen spricht jedoch eine große Zahl von Evidenzen, die nahelegen, dass die „positive“ Wirkung von Selbstwirksamkeitserfahrungen nicht von der instrumentellen Wirksamkeit der Handlungen, sondern von ihrer resonanz- und beziehungsstiftenden Qualität ausgeht. Wie bereits Banduras Untersuchungen zeigen, steigt das intrinsische Interesse an einem Weltausschnitt oder Tätigkeitsbereich nicht mit dem Erfolg oder der „Belohnung“ für ein Engagement, sondern mit der Erfahrung, selbst etwas bewirken, Welt erreichen zu können. Nicht die bewirkten Ergebnisse sind das Entscheidende, sondern die Erfahrung der sich im Prozess ergebenden Wechselwirkung. In ähnlicher Weise hat die Unterrichtsforschung deutlich gemacht, dass der entscheidende Faktor für die Qualität des Unterrichtsgeschehens darin liegt, dass Lehrer davon überzeugt sind, ihre Schüler erreichen zu können.[4]
„Das intrinsische Interesse an einem Weltausschnitt oder Tätigkeitsbereich steigt nicht mit dem Erfolg oder der „Belohnung“ für ein Engagement, sondern mit der Erfahrung, selbst etwas bewirken, Welt erreichen zu können.“
Prof. Dr. Hartmut Rosa
Nicht zufällig spielt dabei die kollektive Selbstwirksamkeitsüberzeugung eine entscheidende Rolle: In Formen des gemeinsamen Handelns machen Individuen nicht nur die Erfahrung sozialer Resonanzbeziehungen, in denen sie sich wechselseitig erreichen, antworten und verstärken, sondern sie erleben auch ihre Fähigkeit, etwas erreichen und bewegen zu können, mithin also gleichsam weltwirksam zu sein. In ebendiesem Sinne sieht Hannah Arendt Welt überhaupt erst im kollektiven Handeln und in der damit einhergehenden Erfahrung des gemeinsamen Gestaltenkönnens entstehen, so dass ihr moderne Subjekte ohne diese Erfahrung als gleichsam weltarm oder weltlos erscheinen:[5] Sosehr auch ihre individuellen Wahlmöglichkeiten und Optionen gestiegen sein mögen, so wenig werden sie dadurch in die Lage versetzt, Weltresonanz im Sinne kollektiver Selbstwirksamkeitserfahrung zu erleben. Tatsächlich lassen sich politische Positionen nicht zuletzt danach unterscheiden, in welches Verhältnis sie individuelle und kollektive Selbsterwartungen setzen. In dem sich durch die Geschichte der Moderne ziehenden Streit zwischen eher republikanischen und eher liberal-individualistischen Politik- und Demokratieauffassungen, der zuletzt in der sogenannten „Kommunitarismusdebatte“ wieder aktuell wurde, steht so eine hohe Wertschätzung individueller Selbstwirksamkeit bei tiefsitzendem Misstrauen gegenüber kollektiver Gestaltungsmacht (die staats- und gemeinschaftsskeptische liberalindividualistische Position) einer umgekehrt starken Betonung kollektiver Selbstwirksamkeit bei reduziertem Vertrauen in die „atomistische“ individuelle Handlungsmacht (die kommunitaristische Position) gegenüber.[6]
Für eine Analyse der menschlichen Weltbeziehungen sind Selbstwirksamkeitserwartungen damit sowohl im Blick auf individuelle als auch auf kollektive Weltverhältnisse von essentieller Bedeutung, weil sie die Art der Beziehung zwischen Subjekt und Welt und auch zwischen Gemeinwesen und Welt bestimmen. Sie tun das, indem sie die Reichweite und die Grenzen des Realisier- und Gestaltbaren definieren: Wie viel können die Menschen ausrichten in der Welt – und gegebenenfalls auch gegen die Welt? Inwiefern kann ein Subjekt seine Position in der und seinen Lebensweg durch die Welt selbst gestalten, inwiefern hat es einfach hinzunehmen, was die Welt (oder das Schicksal) für es bestimmt haben? Das moderne Programm der systematischen individuellen wie kollektiven, wissenschaftlichen wie technischen, ökonomischen wie politischen Reichweitenvergrößerung und Ressourcenvermehrung ist daher durchaus auf die Erhöhung von Selbstwirksamkeit hin angelegt, allerdings auf eine Selbstwirksamkeit, die einseitig auf Beherrschung und damit auf stumme und verdinglichte Weltbeziehungen ausgerichtet ist. Vielleicht lässt sich auf diese Weise das auf Wachstum, Beschleunigung und Reichweitenvergrößerung gerichtete, einseitige Steigerungsprogramm der Moderne reinterpretieren als ein letztlich von Resonanzerwartungen getriebenes Programm zur Verbesserung von Selbstwirksamkeit, dem ein fundamentales Missverständnis zugrunde liegt: Der Irrtum der Moderne bestünde dann nicht in der Hoffnung, durch die Erhöhung von Selbstwirksamkeitserwartungen eine Verbesserung der Weltbeziehung und damit der Lebensqualität zu suchen, sondern in der Verwechslung einer stummen, auf Beherrschung und Verfügbarmachung ausgerichteten und ergebnisorientierten Selbstwirksamkeit mit der Erfahrung resonanter, einwirkender, prozessorientierter und antwortorientierter Selbstwirksamkeit, welche nicht nur mit dem stets Unverfügbaren, Nichtbeherrschbaren, Widerständigen rechnet, sondern auf dieses sogar konstitutiv angewiesen bleibt. Das bedeutet aber auch, dass die Selbstwirksamkeitsstrategie der Moderne nicht per se falsch, sondern nur einseitig ist; dass sie zwar gewaltiges Entfremdungspotential birgt, aber zugleich die Ressourcen für resonante Weltbeziehungen bereitstellt.
Dieser Text beruht auf Abschnitten aus dem Buch:
Hartmut Rosa: „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“, Berlin 2016, insbesondere S. 270ff.
[1] Albert Bandura, „Self-Efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change“, in: Psychological Review 84 (1977), S.191-215; ders., „Self-Efficacy Mechanism in Human Agency“, in: American Psychologist. Journal of the American Psychological Association 37 (1982), S.122-147; ders., „Perceived Self-Efficacy in Cognitive Development and Functioning“, in: Educational Psychologist 28 (1993), S. 117-148.
[2] Lars Satow, Ralf Schwarzer, „Entwicklung schulischer und sozialer Selbstwirksamkeitserwartung. Eine Analyse individueller Wachstumskurven“, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht 50 (2003), S. 168-181; Aleksandra Luszczynska u. a., „General Self-Efficacy in Various Domains of Human Functioning: Evidence from Five Countries“, in: International Journal of Psychology 40 (2005), S. 80-89; Aleksandra Luszczynska u. a., „The General Self-Efficacy Scale. Multicultural Validation Studies“, in: The Journal of Psychology 139 (2005), S. 439-457; vgl. auch Matthias Jerusalem, Diether Hopf (Hg.), Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen, Weinheim 2002.
[3] Bandura, „Perceived Self-Efficacy in Cognitive Development and Functioning“, S.118 (meine Übersetzung, HR).
[4] Jerusalem/Hopf (Hg.), Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen.
[5] Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1994.
[6] Axel Honneth (Hg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt/M., New York 1992; Hartmut Rosa, Identität und kulturelle Praxis. Politische Philosophie nach Charles Taylor, Frankfurt/M., New York 1998; Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt/M. 1994.