Er ist gerade mal 30 Jahre alt und dennoch suchen erfahrene Sprecher aus Ministerien, Mediziner und andere Gesundheitsexperten seinen Rat, wenn es um den Umgang mit Impfgegnern in öffentlichen Debatten geht. Dies ist nämlich nicht nur Philipp Schmids Promotionsthema, sondern hat sich über die Jahre zu seinem Steckenpferd entwickelt. Nicht umsonst betitelte ein Online-Magazin ihn als den „Mann, der es mit jedem Impfgegner aufnimmt“. Ob vom Kindesalter an der Karatesport oder später der Debattierclub während des Studiums – Philipp Schmid ist sozusagen schon lange auf Selbstverteidigung, Streitgespräche und öffentliche Debatten vorbereitet. Wer ihm eine Falschinformation unterbreiten möchte, hat es schwer. „Nun ist es natürlich so, dass der Hauptteil, den ich ‚im Kampf‘ gegen Falschinformationen einbringe, meine eigene Forschungsarbeit ist. Ich bin nicht die Person, die sich ständig in öffentlichen Debatten mit Impfgegnern ‚rumschlägt‘, erklärt er. „Aber was ich tun kann, ist den entsprechenden Multiplikatoren mit meiner Forschung zu helfen.“ Denn seine wissenschaftlichen Erkenntnisse trägt er durch Publikationen, Vorträge oder auch Schulungen unmittelbar in die Praxis. Und das stößt oftmals auf so positive Resonanz, dass selbst seine Professorin Cornelia Betsch ihn zu den entsprechenden Veranstaltungen gern „vorschickt“. Der Kampf gegen Falschinformationen ist für Philipp Schmid mehr als ein Forschungsthema, sondern etwas, dass ihn antreibt.
„Ich halte es für sehr wichtig, dass sich die Menschen mehr mit den Argumenten auseinandersetzen, die genutzt werden, um sie zu manipulieren.“
Philipp Schmid
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bietet der Psychologe beispielsweise Workshops zum Umgang mit Impfgegnern an. Dabei schult er u.a. Ärzte, Ministeriumssprecher und Vertreter von verschiedenen Instituten mithilfe von Videoschnitten und optimiert so ihre Performance. „Oftmals handelt es sich um Wissenschaftler, die sich überwiegend in gleichgesinnten Kreisen bewegen und nur selten in die Verlegenheit kommen, sich verteidigen zu müssen.“ Dabei sei es enorm wichtig, dass diese Personengruppen in der Lage sind, entsprechend zu argumentieren und auch zu streiten. Generell plädiert Schmid wieder für mehr Streitkultur in der Gesellschaft und sticht damit trotz der Vielzahl an Forschungen zum Thema Impfen immer wieder aus der Masse hervor: „Das Thema Debatte und Streit ist etwas, das man aufgrund der Unvorhersehbarkeit ungern ‚anfasst‘“, erklärt er. Dabei könne man aus Streitgesprächen wirklich etwas lernen. „Ich halte es für sehr wichtig, dass sich die Menschen mehr mit den Argumenten auseinandersetzen, die genutzt werden, um sie zu manipulieren. Dass sie sich vorab gegen die Falschinformation ‚impfen‘ und die Gesellschaft so in die Lage versetzt wird, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden.“
„Manche schworen darauf, dass man Impfgegner einfach ignorieren sollte, andere waren davon überzeugt, dass es wichtig sei, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Nichts von alledem war jedoch evidenzbasiert.“
Philipp Schmid
Philipp Schmids Interesse am Impfen wurde bereits im ersten Semester seines Psychologie-Studiums an der Uni Erfurt geweckt. Damals arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft im Forschungsprojekt bei Prof. Cornelia Betsch. „Bei dem Projekt ging es u.a. darum, herauszufinden, wie Internetforen die Risikowahrnehmung der Menschen in Bezug auf Impfen beeinflussen“, erklärt der gebürtige Oldenburger. In darauffolgenden Praktika beim Robert Koch-Institut und der WHO erkannte Schmid, dass es eine große Ratlosigkeit darüber gab, wie man mit Impfgegnern verfahren kann – sowohl in den damals erst aufkommenden sozialen Netzwerken als auch in den klassischen Medien. „Manche schworen darauf, dass man Impfgegner einfach ignorieren sollte, andere waren davon überzeugt, dass es wichtig sei, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Nichts von alledem war jedoch evidenzbasiert.“ Als Schmid feststellte, dass dieser Mangel auch von verschiedenen Ministerien kommuniziert wird und der Wunsch nach entsprechenden Schulungen bestand, nahm er die Sache schließlich in die Hand. Das Ergebnis: Eine mittlerweile international beachtete Handreichung, die er gemeinsam mit der WHO erarbeitete und anschließend publizierte. Inwieweit die Veröffentlichung beim Umgang mit Impfgegnern helfen kann? „Da man sich nicht auf jede Behauptung vorbereiten kann, entstand innerhalb dieser Publikation eine Art Gerüst mit insgesamt fünf rhetorischen Techniken, die die Impfgegner immer wieder nutzen, um ihre Aussagen evidenzbasiert wirken zu lassen. Und innerhalb dieses Gerüsts kann man sich viel besser auf eine Debatte vorbereiten“, erklärt er.
Anschließend kam wieder die Universität Erfurt ins Spiel. Denn dort prüfte Philipp Schmid unter der Leitung von Cornelia Betsch, ob diese Handreichung wissenschaftlichen Maßstäben standhält und die Techniken funktionieren. Und tatsächlich ergab die Untersuchung, dass es sehr effektiv sein kann, einerseits die Themen mit Fakten zu untermauern, aber auch die rhetorischen Techniken der Impfgegner zu demaskieren, um somit Falschinformationen in öffentlichen Debatten zu reduzieren. „Das Interessante bei den rhetorischen Techniken ist, dass sich diese nicht nur auf das Thema Impfen reduzieren. Sie finden in sämtlichen Bereichen Anwendung, in denen Wissenschaft unter Feuer gerät, beispielsweise auch bei Klimaleugnern.“ Die Techniken beinhalten u.a. das Zitieren „falscher Experten“, klassische Verschwörungstheorien, das „Herauspicken“ einzelner Phänomene oder auch unmögliche Erwartungen an die Wissenschaft. „Manche argumentieren, dass eine Impfung zu 100 Prozent sicher sein muss, was in der Medizin ja schlichtweg nie der Fall ist“, führt der Psychologe als Beispiel an. Ob die ständige Überprüfung wissenschaftlicher Stichhaltigkeit in den vergangenen Jahren sein eigenes Leben beeinflusst hat? „Definitiv, ich denke nun über manche Dinge oft viermal nach. Impulsives Handeln ist mittlerweile in den Hintergrund gerückt. Mittlerweile warte ich eher ab und überlege zunächst. Das ist schon in meinen Alltag übergegangen.“
„Wenn etwas unsere Menschheit vernichtet, dann sind wir es selbst – und dass wahrscheinlich aus Desinformation und Ignoranz. Und dagegen zu kämpfen, ist wichtiger als alles andere.“
Philipp Schmid
Und obwohl es immer noch relativ wenige Menschen gibt, die so extrem über Themen wie Impfen oder den Klimawandel denken, betont Schmid, wie wichtig es sei, sich mit den Argumentationen zu befassen: „Das tatsächliche Problem ist, dass diese verhältnismäßig kleine Gruppe die (sozialen) Medien extrem gut nutzt und sich vernetzt. So kommt es, dass oftmals der Eindruck entsteht, dass das Verhältnis von Impfgegnern und -befürwortern fast ausgeglichen ist“, erklärt er. Und wie Studien – u.a. der Uni Erfurt – immer wieder zeigen, habe dies durchaus einen Einfluss auf das Verhalten der Individuen. „Und wenn wir insbesondere beim Impfen oder Klimawandel auf die Katastrophen schauen, die uns drohen, wenn wir das weiter ignorieren, wird nichts wichtiger sein als gegenzusteuern. Denn genau das ist etwas, das unsere Gesellschaft kippen kann“, erklärt er und geht sogar noch weiter: „Wenn etwas unsere Menschheit vernichtet, dann sind wir es selbst – und dass wahrscheinlich aus Desinformation und Ignoranz. Und dagegen zu kämpfen, ist wichtiger als alles andere.“