Macher, Impulsgeber, Tatenstürmer – in der Rubrik „Perspektiven“ in diesem Blog bitten wir in loser Folge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Erfurt, aus ihrer fachlichen Sicht auf das Thema „Selbstwirksamkeit“ zu schauen – ein Thema, das ein zentrales Element des Markenkerns der Uni Erfurt darstellt. Die Theologin Dr. Marlen Bunzel, 2019 für den Promotionspreis der Uni Erfurt nominiert, blickt an dieser Stelle auf die biblische Figur „Hiob“ und fragt: War er ein Unglücksrabe oder am Ende doch ein „Macher“?
War Hiob ein Unglücksrabe oder ein Macher? Auch wenn vermutlich nur wenige die Geschichte Hiobs kennen, mit dem Begriff „Hiobsbotschaft“ können die meisten etwas anfangen. Er ist das Synonym für eine schlechte Nachricht. Demnach gilt Hiob zunächst einmal als Unglücksrabe: Hiob, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, der zudem mit beachtlichem Reichtum gesegnet ist, verliert unverschuldet alles. Vier Boten überbringen ihm die sogenannten „Hiobsbotschaften“ vom Verlust seines Besitzes und dem Tod seiner zehn Kinder. Anschließend verliert er seine Gesundheit. Das Unglück bricht in Hiobs Leben ein, stellt alles auf den Kopf, kehrt den Segen um in einen Fluch, ohne dass Hiob den Grund dafür kennt. Sicher, der dargelegte Anfang des Hiobbuches ähnelt einem unwirklichen Märchen. Aber wie bei einem Märchen üblich liegt der Wahrheitsgehalt der Hiob-Geschichte nicht in dem äußerlich daherkommenden Gewand (Zahlen- und Ortsangaben sind irreal), sondern in der darin enthaltenen Botschaft, die alles andere als eine „Hiobsbotschaft“ ist.
Hiob ist eine fiktive Gestalt, deren Schicksal exemplarisch für das ungerechte Leiden des Gerechten steht. Es handelt sich dabei um eine Jahrtausende alte jüdische Erzählung, für die es zahlreiche altorientalische Parallelen gibt und die Bestandteil des Alten Testaments geworden ist. Im Hintergrund all der Legenden über den leidenden Gerechten steht die Theodizee-Problematik, ein Urthema der Menschheit: Wie lässt sich das Übel in der Welt rechtfertigen, wenn Gott doch allmächtig, allwissend und allgütig sein soll? Warum trifft die einen ohne Grund schweres Leid, während andere davon verschont bleiben? Eine Antwort darauf lässt sich im Hiobbuch nicht finden, wenngleich es zunächst den Anschein macht: Hiob reagiert vorbildlich fromm auf die Hiobsbotschaften. Der Unglücksrabe Hiob des Buchanfangs erscheint als Dulder, der sein Schicksal widerspruchslos hinnimmt und auf Gott zurückführt, wenn er sagt: „Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.“ (Hiobbuch Kapitel 1, Vers 21). Ähnliche Worte findet er, als er zu allem Übel auch noch eine schwere Hautkrankheit bekommt: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (Hiob 2,10). Doch in diesen simplen, wenig hilfreichen Sätzen, wenn man selbst mit Schicksalsschlägen zu kämpfen hat, erschöpft sich die Botschaft des Hiobbuches nicht. Im Gegenteil. Nachdem Hiob, der Dulder, realisiert hat, worum es eigentlich geht, erwacht in ihm der Rebell. Nachdem er realisiert hat, dass ihm seine gesamte Existenzgrundlage entzogen wurde und dass die in sich logischen Argumente der traditionellen, weisheitlichen Theologie nicht mehr greifen (wer Gutes tut, dem ergeht es gut, wer Schlechtes tut, dem ergeht es schlecht), beginnt er, aktiv sein Schicksal zu bewältigen. Ohne es bis dahin selbst geahnt zu haben, steckt in ihm eine gehörige Portion Widerstandskraft – die Psychologie nennt es Resilienz – dank der Hiob an seinem Leid nicht zerbricht, sondern daran wächst. Ob er deshalb als „Macher“ bezeichnet werden kann, sei einmal dahingestellt. Zumindest aber ist er nicht einfach nur Opfer seines Schicksals.
„Die Botschaft des Hiobbuches ist alles andere als eine Hiobsbotschaft, sondern vielmehr eine Botschaft, die Mut macht.“
Dr. Marlen Bunzel
Was tut Hiob? Wie schafft er den Weg durch diese Lebens- und Glaubenskrise? Es wäre zu leicht zu sagen, dass sein Glaube an Gott ihm die nötige Kraft zur Krisenbewältigung gibt. Zunächst einmal tut Hiob etwas, das unabhängig von seinem Glauben an Gott für jedermann der erste hilfreiche Schritt zur Leidbewältigung ist: Er lässt das Leid an sich heran und beklagt es aus voller Kehle. Er klagt was das Zeug hält. Auch seine Freunde spielen eine entscheidende Rolle. Sie verdächtigen Hiob zwar, selbst schuld an seinem Unglück zu sein, und sind ihm insofern keine guten Freunde, aber sie hören nicht auf, ihn zu neuen Antworten herauszufordern und so die Widerstandskraft in ihm zu wecken. Das entscheidende ist schließlich, dass Hiob nach dem ersten Redeschwall, der noch ins Leere ging, seine Klage an Gott richtet. Er zweifelt an Gott, nicht an seiner Existenz, aber an seiner Güte. Er wünscht sich weit weg von ihm, er flucht sogar gegen ihn, aber er hört nicht auf, mit ihm zu reden. Er lässt nicht ab von Gott, sondern klagt mit Gott gegen Gott. Er steckt den Kopf nicht in den Sand, sondern geht sein Leid aktiv, ja rebellisch, an. Die Tatsache, dass es schlicht ungerecht ist, was er zu erleiden hat, gibt ihm Kraft. Obgleich ihm sämtliche Sicherheiten entzogen wurden, gerät Hiobs Überzeugung von der eigenen Integrität und Unschuld nicht ins Wanken. Vielmehr dient sie ihm als Motor, als innerer Kraftantrieb zur Aufrechterhaltung der Kommunikation mit Gott. Dieser Glaube an sich selbst wiederum hängt nach jüdisch-christlichem Verständnis unauflöslich mit dem Glauben an den guten Schöpfergott zusammen. Hiobs Glaube daran, dass Gott ihn gut geschaffen hat, dass Gott wollte, dass es ihn gibt, wird zwar aufs Äußerste auf die Probe gestellt, aber er hält stand. Gerade weil sein Glaube zur Disposition steht, kommt er in seiner ganzen Tragweite erst zum Vorschein. Solange Hiob noch wie im Paradies gelebt hat, befand sich sein Glaube, mit Ricœur gesprochen, unweigerlich auf der Stufe der ersten Naivität. Erst der Durchgang durch die Lebens- und Glaubenskrise, das unaufhörliche Aktivbleiben im Ringen mit Gott, hat ihn die zweite Naivität erreichen lassen. Das Unglück, das Hiob getroffen hat, kann nicht rückgängig gemacht werden, doch die Narben, die es hinterlassen hat, lassen Hiob gestärkt, gereift und geerdet aus der Krise hervorgehen. Insofern ist die Botschaft des Hiobbuches alles andere als eine Hiobsbotschaft, sondern vielmehr eine Botschaft, die Mut macht.