Es heißt „Nomen est Omen“, also „der Name ist ein Vorzeichen“. Unter diesem Gedanken mutet es direkt ein wenig sarkastisch an, wenn man bedenkt, wo das Herz des Bistums Erfurt schlägt. Nämlich am Herr-mannsplatz. Hier, im Schatten des Erfurter Doms – dem regionalen Symbol einer von Männerhand regierten Weltkirche – liegt das bischöfliche Ordinariat, die oberste Verwaltungsstelle des Bistums.

Und von hier gehen einige seiner wichtigsten Adern ab: das Priesterseminar in der Holzheienstraße, die katholische Akademie am Fischersand und auch das Seelsorgeamt in der Regierungsstraße. Die verschiedenen Einrichtungen greifen ineinander, ergänzen und stützen sich und tragen dazu bei, dass sich Katholikinnen und Katholiken in Erfurt und Umland ein kultureller Raum bietet, in dem sie ihren Glauben leben und gestalten können.

Doch die Gemeinschaft am Herrmannsplatz ist keine reine Herrenrunde. Obgleich die katholische Kirche Frauen nicht zu Priesterinnen weiht und ihnen damit den Zugang zu klerikalen Leitungsposten verwehrt, gibt es sie doch: Frauen, die Kirche machen. So auch im Seelsorgeamt. Hier gibt seit sieben Jahren eine Alumna der Universität Erfurt den Ton an – und dieser Ton ist dezidiert weiblich.

„Es muss ein Zueinander der Geschlechter geben.“

Anne Rademacher

Anne Rademacher schloss 1998 ihr Studium der katholischen Theologie in Erfurt ab. Damals noch am Philosophisch-Theologischen Studium, aus dem 2003 die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt hervorging. 2011 wurde sie an der Reformuniversität promoviert. Ein Jahr später trat sie die Stelle als Leiterin des Seelsorgeamtes an. Seither plant sie die „Pastoral“ und deren Entwicklung im Bistum.

Ihr Büro in der Regierungsstraße ist groß. Fast ein wenig zu groß für die eher spartanische Einrichtung. Das Einzige, wovon es hier reichlich gibt, sind Aktenberge, unter denen sich ihr Schreibtisch biegt. Die Stapel sind mehr als nur ein Sinnbild für all die Arbeit, die täglich über ihren Tisch wandert. Und all die Verantwortung.

Als Anne Rademacher 2012 die Leitung des Seelsorgeamtes übernahm, war sie damit bundesweit erst die zweite Frau in dieser Position. Seither ist viel an der Geschlechterfront der katholischen Kirche geschehen: Heute unterstehen immerhin schon acht Seelsorgeämter in deutschen Bistümern einer weiblichen Leitung. In einer Kirche, in der es nur exklusiv männliche Priester gibt, gäbe es zunehmend auch einen Blick dafür, dass es in den Gemeinden „dennoch ein Zueinander der Geschlechter geben muss, dass es beide Geschlechter braucht“, befindet die Theologin.

„Ich bekomme nicht automatisch den Platz vorn auf der Altarinsel zugewiesen. Das macht einen Unterschied.“

Anne Rademacher

Dass es in Ergänzung zur männlich geprägten Denkmustern auch eine spezifisch weibliche Perspektive auf Kirche braucht, liegt für Rademacher auf der Hand. Auch weil sich in ihr „eine andere Herangehensweise“ verberge. „Das Weibliche hat etwas Anderes“, erklärt sie. „Das erlebe ich auch an mir selbst. Es ist die Perspektive aus dem normalen Gottesvolk, die ich habe.“

Diesen Perspektivwechsel erläutert die Katholikin lebensnah anhand ihres eigenen Alltags: Wenn sie etwa ein Gottesdienst besucht, dann sucht sie sich einen Platz im Kirchenschiff wie alle anderen auch. „Ich bekomme nicht automatisch den Platz vorn auf der Altarinsel zugewiesen. Das macht einen Unterschied.“ Sobald sie ein Gotteshaus betrete, sei sie „ein normales Kirchenmitglied“, kein herausgestellter Amtsträger wie der Priester, der die Messe leitet. Und genau das habe „einen gewissen Charme, weil das ja genau die Perspektive ist, die die Leute haben, mit denen wir Kirche gemeinsam gestalten wollen“, sagt die Seelsorgeamtsleiterin.

Ihre Einschätzung steht im Einklang mit einem kritischen Diskurs, der derzeit über Formen des Klerikalismus in der katholischen Kirche geführt wird. Es geht dabei um die Macht von Klerikern, also Geistlichen, gegenüber Laien, also den Nicht-Geweihten. Und es geht um die Frage, wie Kirche gemeinsam gestaltet, wie sie gemeinsam erneuert werden kann, ohne den einen zu bevorzugen und den anderen zu benachteiligen.

Gemeinsam zu gestalten, ist der gebürtigen Thüringerin, die in Frankfurt (Oder) und damit in der tiefsten Diaspora – also einem Kulturraum, in dem katholische Christen eine Minderheit darstellen – aufgewachsen ist, ein großes Anliegen. Gerade auch in ihrer Funktion als Amtsleiterin, als Vorgesetzte und als Personalverantwortliche. Dass es dabei „typisch männlich“- und „typisch weiblich“-sozialisierte Eigenschaften gibt, davon ist Anne Rademacher überzeugt. Männer hätten demnach die Neigung, einen eher autoritären Leitungsstil zu verfolgen. Frauen hingegen setzen nach ihrer Einschätzung deutlich mehr aufs Verhandeln. „Daraus ergibt sich eine kommunikativere Form der Leitung“, urteilt sie.

„Mir war eine kollegiale Form der Leitung wichtig.“

Anne rademacher

Ein solch kommunikativer Führungsstil zeichnet seit jeher die Arbeit der Theologin aus. Als sie vor sieben Jahren die Leitung im Seelsorgeamt übernahm, zog sie als erstes eine Zwischenebene in dessen Organisationsstruktur ein. „Davor war es so, dass man entweder Referentin sein konnte oder Chefin. Dazwischen gab es nichts“, erinnert sie sich.

Heute hat Anne Rademacher vier Bereichsleiter ‚unter sich‘, zwei davon sind Frauen. Ihr sei eine „kollegiale Form der Leitung“ wichtig, betont sie. Um klar abgrenzbare Zuständigkeiten zu schaffen, aber auch um amtsintern eine neue Gesprächskultur zu etablieren, die einen Dialog auf verschiedenen Ebenen ermöglicht und den Prozess einer gemeinsamen Entscheidungsfindung fördert. Wenn Frauen Leitung übernehmen, dann sei das einfach „ein anderer Stil“, befindet die Alumna der Uni Erfurt.

Ihre Einschätzung wirft die Frage auf, ob vielleicht genau dieser Stil der katholischen Kirche einen Ausweg aus ihrer aktuellen Imagekrise zeigen kann. Schließlich krankt die Weltkirche massiv an dem Vorwurf, als Institution zu einseitig, zu sehr männlich dominiert zu sein. „Ich glaube, für sich genommen nicht“, urteilt sie nach einer kurzen Gedankenpause. „Der weibliche Stil läuft manchmal durchaus auch Gefahr, keine Entscheidungen zu treffen. Doch genau die müssen natürlich auch sein.“

Es sei deshalb eine Kombination aus vermeintlich maskulinen und femininen Kommunikationspraktiken, die es brauche, resümiert die Theologin. Damit bekennt sie sich abschließend einmal mehr zu einem Denken, das von einem tiefen Bedürfnis nach Dialog und Austausch getragen wird – einem durch und durch kommunikativen Führungsstil eben.

Foto: Nadine Grimm, Bistum Erfurt