Dass schulische Bildungsprozesse erfolgreich sein können, setzt in entscheidender Weise die Leistungsfähigkeit und Motivation der im Schulsystem aktiven Lehrkräfte voraus. Seit einigen Jahren wird deshalb verstärkt das Wohlbefinden von Lehrkräften als ein relevanter Faktor für die erfolgreiche Ausübung ihres Berufs herausgestellt. Lehrerinnen und Lehrer, die mit ihrem Beruf zufrieden sind und sich im Hinblick auf die typischen Anforderungen selbstwirksam fühlen, gehen nicht nur ihren Arbeitsaufgaben engagierter nach und sind in der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern erfolgreicher. Sie fühlen sich oft auch weniger belastet und geben den Beruf seltener vor dem Erreichen des Ruhestands auf. Wohlbefinden speist sich jedoch nicht allein aus der Abwesenheit von Konflikten und der Beherrschung von Belastungen, wie der Psychologieprofessor Robert Biswas-Diener in seiner eingängigen Segelboot-Metapher deutlich macht: Um die Strömungen des anforderungsreichen beruflichen Alltags zu bewältigen, ist ein solides Boot erforderlich, das mindestens Rumpf, Ruder und Segel besitzt. Die täglichen Beanspruchungen schlagen und bohren uns unablässig Löcher in den Rumpf, die es wieder zu verschließen gilt, wollen wir uns über Wasser halten. Das Schließen von Löchern allein leistet aber keinen Beitrag zum eigentlichen Fortkommen. Es erscheint mindestens ebenso wichtig, sich darin zu üben, die Segel und den Kurs zu setzen. Dabei gilt es wohl auch zu akzeptieren, dass sich das Eindringen von Wasser in unser Boot nie so ganz verhindern lässt.
In der Forschung zum Lehrerberuf und in der Praxis der Aus- und Fortbildung haben wir uns in der Vergangenheit viel stärker um den Rumpf, als um die Segel gekümmert. In Studien wurde ein starker Fokus auf die Beantwortung von Forschungsfragen in Zusammenhang mit Belastung, Beanspruchung und den damit verbundenen Folgen, wie z.B. Burnout gelegt. Dies zeigt sich zum Beispiel am Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, das ein umfangreiches Kapitel über die Forschung zur Belastung und Beanspruchung, aber nicht einen Beitrag enthält, der Erkenntnisse zur Förderung positiver Arbeitsbedingungen und -umgebungen verspricht.
„Erkenntnisse dazu, wie sich positive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen fördern lassen, die eine erfolgreiche Berufsausübung begünstigen, müssen innerhalb der Forschungsarbeiten zum Lehrerberuf schon mit einigem Aufwand gesucht werden.“
Dr. Benjamin Dreer
In der Lehrerausbildung und in Fortbildungsangeboten überwiegen Angebote zum Selbst- und Zeitmanagement, zu Stressvermeidung und -reduktion sowie zum Umgang mit Belastungen. In den Begleitunterlagen von Workshops finden sich mitunter Hinweise auf Burnout-Klinken und Verlage veröffentlichen Fachbücher zu Themen wie „Lehrer unter Druck“ oder „Lebenslang Lehrer?“. Erkenntnisse dazu, wie sich positive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen fördern lassen, die eine erfolgreiche Berufsausübung begünstigen, müssen innerhalb der Forschungsarbeiten zum Lehrerberuf schon mit einigem Aufwand gesucht werden. Dies gilt auch für Angebote in Aus- und Fortbildung, die nicht nur versprechen, Werkzeuge zur Steigerung des berufsbezogenen Wohlbefindens anzubieten, sondern auch in ihrer Wirksamkeit geprüft sind.
Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass wer gut im Stopfen von Löchern ist, nicht automatisch auch gut im Segeln sein muss. Erst seit einigen Jahren sind auch in Deutschland vereinzelte Initiativen in Praxis und Forschung zu beobachten, die ihren Blick in Richtung „Segel und Ruder“ richten. Angeschoben durch einen gesamtgesellschaftlichen Trend zur Selbstoptimierung sind Workshops und Publikationen zu Themen wie Glück oder Achtsamkeit im Lehrerberuf inzwischen nicht mehr so selten und durchaus nachgefragt. Lachseminare sollen Lehrkräften Erkenntnisse der Gelotologie – der Wissenschaft der Auswirkungen des Lachens – nahebringen. Während „der Markt“ recht eindeutig zeigt, dass hierzu ein Bedarf besteht, macht die Wissenschaft nur recht kleine Erkenntnisfortschritte in diesem Bereich. Dabei lassen sich in zahlreichen Forschungsarbeiten beispielsweise der positiven Psychologie vielversprechende Ansätze finden, die auf die Forschung zum Lehrerberuf übertragbar wären. So konnte wiederholt gezeigt werden, dass das Praktizieren einfacher Übungen zu Themen wie Dankbarkeit oder Freundlichkeit z.B. bei Personen, die im Management arbeiten, zu einer nachhaltigen Steigerung von Berufszufriedenheit und Engagement führt.
Angeregt durch diese Erkenntnisse habe ich mich – nachdem ich selbst eine Zeit lang Kurse zur Belastung im Lehrerberuf angeboten hatte – dazu entschieden, mich dem Thema berufsbezogenem Wohlbefinden stärker zuzuwenden. So sind verschiedene Initiativen zum Teil auch in Zusammenarbeit mit Studierenden entstanden.
Zuerst haben wir ein Interventionsprogramm zusammengestellt, das aus kleinen Anleitungen für positive Aktivitäten für den Lehrerberuf besteht. Darin wird beispielsweise angeregt, sich die Vorteile des eigenen Berufs genüsslich vor Augen zu führen, kleine Highlights des Schulalltags zu zelebrieren oder aber Elternkontakt bewusst positiv auszugestalten. Um die Wirkung des Programms zu überprüfen, haben wir die freiwillig angemeldeten 310 Lehrkräfte in zwei Gruppen unterteilt. Während die eine Gruppe, über die Dauer von zwei Wochen jeden zweiten Werktag eine E-Mail mit einer einladenden Übungsanleitung erhielt, bekam die andere Gruppe ansprechend gestaltete Inspirationskärtchen (mit Zitaten und Bildern) zugeschickt wie sie überall auch in den sozialen Netzwerken zu finden sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Berufszufriedenheit und das berufsbezogene Engagement derjenigen Lehrerinnen und Lehrer bedeutsam anstieg, die sich über zwei Wochen mit den Übungen befassten. Diese Teilenehmenden berichteten am Ende des Programms außerdem über eine verringerte subjektive Belastung. In der Gruppe mit den Inspirationskärtchen konnten hingegen keine bedeutsamen Veränderungen beobachtet werden.
Angeregt durch diese vielversprechenden Ergebnisse war ein nächstes Ziel dann, solche Übungen auch mit angehenden Lehrkräften, also Studierenden im Praktikum, zu erproben. Dabei stellte sich die Herausforderung, dass die angehenden Lehrkräfte je nach Praktikumsschule über sehr unterschiedliche Handlungsfreiheiten verfügen. Deshalb wurden solche Aktivitäten gewählt, die möglichst unabhängig von der konkreten Situation an der jeweiligen Praktikumsschule durchgeführt werden konnten. Interessant ist, dass sich diese Entscheidung offenbar auch in den Ergebnissen widerspiegelt. Die angehenden Lehrkräfte profitierten nämlich von der Teilnahme an dem Angebot vor allem im Hinblick auf Faktoren des allgemeinen Wohlbefindens (Lebenszufriedenheit und Glücksempfinden). Ihre Berufszufriedenheit und das berufsbezogene Engagement blieben hingegen relativ konstant. Hier besteht also noch Entwicklungspotenzial hinsichtlich des Anpassungsgrads der Übungen an die berufliche Umwelt. Insgesamt stimmen die Ergebnisse dieser ersten Initiativen aber zuversichtlich, was die Förderbarkeit von Wohlbefinden im Lehrerberuf betrifft. Die Erprobung weiterer Ansätze ist bereits in Planung.
Übrigens: Wer sich für solche Übungen interessiert, aber nicht an einem Online-Programm teilnehmen möchte, kann auch einen Blick auf das Anfang 2019 im Beltz-Verlag erschienene Kartenset „Positivity – 34 Impulskarten für positives Denken und Handeln im Lehrerberuf“ werfen.