Desiree – Weltbeweger https://weltbeweger.uni-erfurt.de Eine Kampagne der Universität Erfurt Wed, 18 Dec 2019 12:39:55 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.4 https://weltbeweger.uni-erfurt.de/wp-content/uploads/2019/08/3217Logo_Uni_hellgrau.png Desiree – Weltbeweger https://weltbeweger.uni-erfurt.de 32 32 „Ich würde zu gern über die gemeinsamen Ängste sprechen!“ Medine Yilmaz engagiert sich für kulturelle Vielfalt und die Gleichberechtigung von Frauen https://weltbeweger.uni-erfurt.de/2019/12/11/weltbewerger-medine-yilmaz/ Wed, 11 Dec 2019 10:24:18 +0000 https://weltbeweger.uni-erfurt.de/?p=1069 An einer Hochschule ist man das Zuhören gewöhnt. Trotzdem muss man schon sehr genau lauschen, wenn Medine Yilmaz erzählt. Denn die junge Frau spricht schnell und ist es gewöhnt, möglichst viel Inhalt in möglichst kurzer Zeit zu transportieren. Kein Wunder,... Weiterlesen →

Der Beitrag „Ich würde zu gern über die gemeinsamen Ängste sprechen!“ Medine Yilmaz engagiert sich für kulturelle Vielfalt und die Gleichberechtigung von Frauen erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>
An einer Hochschule ist man das Zuhören gewöhnt. Trotzdem muss man schon sehr genau lauschen, wenn Medine Yilmaz erzählt. Denn die junge Frau spricht schnell und ist es gewöhnt, möglichst viel Inhalt in möglichst kurzer Zeit zu transportieren. Kein Wunder, denn als Konferenzdolmetscherin ist ihre Fähigkeit zum flinken und agilen kommunizieren ihr Kapital. Doch es lohnt sich, nahe bei ihren Worten zu bleiben, denn die Absolventin der Staatswissenschaften an der Universität Erfurt hat allerhand zu erzählen. Nicht nur von ihrem Beruf, der sie regelmäßig in die Welt verschlägt. Auch von ihrem politischen wie gesellschaftlichen Engagement, mit dem sie sich für den Dialog mit Geflüchteten sowie für die Rechte von Frauen im Nahen Osten einsetzt.

Wo fängt man also an zu erzählen, wenn man Yilmaz‘ flottem Takt sowohl in der Sprache als auch im Leben gerecht werden will? Am besten am Anfang: Medine Yilmaz wird 1982 in Berlin als Tochter kurdischer Eltern geboren. In der Hauptstadt macht sie zunächst eine Ausbildung zur Bürokauffrau, danach eine Dolmetscherlehre. „Als es sprachlich dann ‚Klick‘ gemacht hat, wollte ich mehr erreichen im Leben.“ Zu diesem Zweck holt sie erst das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach. Danach kommt sie 2011 nach Erfurt, um hier das Studium der Staatswissenschaften aufzunehmen. Ihr Ziel: sich wissenschaftliches Hintergrundwissen aneignen für ihre Tätigkeit als türkisch-deutsche Dolmetscherin, in der Yilmaz auch studienbegleitend tätig ist.

„Ich fand Erfurt sehr schön“, erinnert sie sich an ihre Anfänge in der Thüringer Landeshauptstadt. „Aber Erfurt war nicht bunt. Erfurt war nicht vielfältig.“ Diese Leerstelle versucht die Kurdin zum einen durch politisches Engagement zu schließen. 2013 tritt sie dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei. Von 2014 bis 2016 wird sie sogar Kreisvorsitzende in Erfurt. Doch als Vorsitzende erschöpft sich ihre Arbeit vorwiegend in bürokratischen Verwaltungsaufgaben. Am politischen Diskurs hingegen hat Yilmaz wenig Anteil. Um das zu ändern, wird sie zusätzlich ‚auf eigene Faust aktiv‘: Ehrenamtlich zieht sie durch sämtliche Thüringer Landkreise sowie kreisfreien Städte und bietet in Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen Vorträge zum Thema Islam an.

„Vielen Menschen fehlen der Kontakt und das Hintergrundwissen. Viele können gar nicht die Frage stellen, die sie gern stellen wollen. Deswegen wollte ich diese Möglichkeit geben,diesen Raum schaffen.“

Medine Yilmaz

„Zu den Veranstaltungen kamen kritische Leute, aber natürlich auch interessierte“, erinnert sie sich. „Das war für mich ein spannender Austausch, weil man dabei nicht nur über den Islam spricht, sondern über Migration und kulturelle Vielfalt insgesamt. Aber auch, weil man vielleicht überhaupt eine erste Begegnung schafft mit Menschen, die noch nie die Möglichkeit hatten, einen Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen.“ Eben jene Begegnungen sind es, die für Yilmaz ein so großes Gewicht haben, denn: „Vielen Menschen fehlen der Kontakt und das Hintergrundwissen. Viele können gar nicht die Frage stellen, die sie gern stellen wollen. Deswegen wollte ich diese Möglichkeit geben, diesen Raum schaffen.“

Raum für ihre Arbeit findet die Alumna der Uni Erfurt von 2016 bis 2018 auch im Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Dort wirkt sie als Ehrenamtskoordinatorin und entwickelt mit Kolleginnen und Kollegen das Ehrenamtsbuch „Aktiv für Geflüchtete“, ein Leitfaden für ehrenamtliche Arbeit im Kontext der Migrationsbewegung. Dabei zehrt die gebürtige Berlinerin auch von ihren persönlichen Netzwerken: „Ich habe über ein sehr großes Netzwerk verfügt – schon vorher – und habe versucht, alle Anlaufstellen Thüringens zu komprimieren. Das war mein Schwerpunkt in diesem Buch“, resümiert sie. Aber auch über den Leitfaden hinaus macht Yilmaz ihre Netzwerke für geflüchtete Menschen im Freistaat nutzbar: Sie versucht Ärzte mit Migrations- und insbesondere Fluchthintergrund zu vernetzen, vermittelt Praktika beim Mitteldeutschen Rundfunk, gibt Einblicke in Berufswelten und hofft, damit wirtschaftlich wie sozial langfristige Perspektiven im neuen Heimatland zu eröffnen.

Dass sie jedoch nur zeitweise im Ministerium bleiben würde, stand für Medine Yilmaz von vornherein fest. Von ihrem Beruf als Konferenzdolmetscherin, in dem heute sie vorrangig im Auftrag der Bundesregierung arbeitet, wollte sie nur eine kurze Auszeit nehmen, „denn beides zusammen wäre zu viel gewesen.“ Doch als 2015 die Migrationswelle über Deutschland zusammenbrach, schätzten Expertinnen und Experten, dass es mindesten zwei oder drei Jahre dauern würde, bis die Folgen des gesellschaftlichen Wandels ihre volle Wirkung entfalteten. „In dieser schwierigen Zeit, in der sich Thüringen und Deutschland zu jener Zeit befand, wollte ich das meinige geben.“ Den Umgang des Freistaates mit der globalen Fluchtbewegung sieht sie indes kritisch: „Ich finde es sehr gut, dass wir eine rot-rot-grüne Regierung hatten, als die Geflüchteten gekommen sind“, urteilt sie. Trotzdem kritisiert sie, dass Thüringen eine tatsächliche Integration der Geflüchteten versäumt habe – auch, indem z. B. Posten in den Ministerien, der Verwaltung, dem Job-Center oder sogar in der Ausländerbehörde maximal mit „Alibi-Migranten“ besetzt seien.

Dass ein tatsächlicher interkultureller Austausch fehlt, war auch bei den jüngsten Thüringer Landtagswahlen zu erkennen: 23,4 % für die AfD. „Ich habe zum ersten Mal nach einem Wahlergebnis geweint“, erzählt Yilmaz offen. „Und ich hatte Angst.“ Ein Gefühl, dass ihr nicht fremd ist. „Man lebt ständig mit der Angst, was wird morgen passieren und dann kommt so eine Zahl – das ist wie ein Schlag ins Gesicht.“ Doch dass Yilmaz durch und durch Optimistin ist, lässt sich auch daran erkennen, dass sie den 23,4 % tatsächlich etwas Gutes abgewinnen kann: „Mich bewegt es gleichzeitig auch dazu, noch mehr zu machen. Mehr sichtbar zu sein. Mehr über diese Themen zu sprechen. Ich überlege auch, wie ich das meinige tun kann, um AfD-Wähler zu erreichen. Manchmal schaue ich mich auch um und manchmal hasse ich mich dafür, wenn ich mir denke: Wählt er oder sie die AfD? Versuchst du jetzt einen Dialog? Man wird dann auch ein bisschen ‚gaga‘ und paranoid. Aber ich würde wirklich gern über die gemeinsamen Ängste sprechen.“

„Ich musste mir meine eigene Emanzipation innerhalb der Familie hart erkämpfen. Und ich möchte viele Frauen dazu motivieren, das auch zu tun.“

MEdine Yilmaz

Doch ihre Zeit im Ministerium hatte Yilmaz auch noch etwas Anderes gezeigt: „Dort im Ministerium habe ich festgestellt: Die Menschen, die hier sind – denen geht es gut! Was ist aber mit den vielen Menschen, insbesondere den Frauen, die es nicht hierher schaffen?“ Entsprechend beginnt die Deutsch-Türkin darüber nachzusinnen, wie sie nicht nur lokal begrenzt in Erfurt wirken kann. Sie will auch international „Empowerment“ betreiben, das bedeutet: Menschen die Macht geben, über sich und ihr Leben frei zu bestimmen. Die Selbstermächtigung von Frauen ist ihr dabei ein ganz besonderes Anliegen – auch weil die junge Frau, die mit 17 Jahren zunächst eine arrangierte Ehe einging, sich ihre eigene Emanzipation „innerhalb der Familie hart erkämpfen musste. Und ich möchte viele Frauen dazu motivieren, das auch zu tun“.

Ihre kurdischen Wurzeln sensibilisieren sie dabei insbesondere für die Nöte im Nahen Osten: „Der nahe Osten brennt!“, sagt sie. „Er brennt schon seit Jahrzehnten und er wird weitere Jahrzehnte brennen.“ Mit ihrem Verein „Frauen für den Nahen Osten“, den Yilmaz 2018 gründet, will sie versuchen, eben diesen Brand „schübchenweise zu löschen.“ Sie wolle für die Menschen vor Ort „einen kleinen Garten schaffen“, erklärt sie die Ziele des Vereins. Die erste Frau, der das Projekt einen solchen Garten schuf, war Sawra: Bei einem Bombardement verlor Sawra 2017 in Syrien ihren Mann. Zusätzlich geriet ihr Bruder in Gefangenschaft der Terrormiliz IS. In einer Kultur, in der Frauen zumeist finanziell abhängig von männlichen Familienmitgliedern sind, folgt daraus für die Syrerin eine existenzbedrohende Notlage. Gemeinsam mit ihren zwei Schwestern und ihrem zwölfjährigen Neffen flieht die Witwe in die Türkei, wo sie als Schneiderin für sich und ihre Angehörigen selbstständig sorgen will. Dort fehlt es ihr allerdings an Materialien und Werkzeugen. Dank Spendengeldern kann der „Verein für Frauen für den Nahen Osten e.V.“, der über eine Partnerorganisation von Sawras Notlage erfährt, sie mit den notwendigen Mitteln ausstatten, um eine kleine Schneiderei an der Grenze zu Syrien aufzubauen. „Sawra sagte zu uns: ‚Dank Euch habe ich wieder das Atmen gelernt.‘“, erinnert sich Yilmaz an dieses erste Hilfsprojekt. „Es sind genau diese Momente, die mir die Freude und die Motivation geben, immer weiterzumachen.“

„Gerade in Zeiten, in denen die AfD wächst, müssen die Wissenschaftler sichtbarer werden, denn wenn der Faschismus kommt, wird die Wissenschaft die erste sein, die geht.“

Medine Yilmaz

Doch um etwas zu bewegen in der Welt, müsse man gar nicht so weit in selbigen hinausgehen, findet die Vereinsvorsitzende. Stattdessen genüge es, im Kleinen anfangen: zum Beispiel hier in Erfurt, hier an der Universität. „Die Uni kann sehr viel dazu beitragen und muss viel tun“, befindet sie über die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschule. „Ich finde, die Wissenschaftler müssen aus ihrem Kämmerchen herauskommen. Gerade in Zeiten, in denen die AfD wächst, müssen die Wissenschaftler sichtbarer werden, denn wenn der Faschismus kommt, wird die Wissenschaft die erste sein, die geht. Wissenschaftler müssen deshalb in den Landkreisen und in den Regionen sein, wo die Menschen sich von der AfD mitgenommen fühlen. Sie müssen Denkräume schaffen – nicht nur hier in der Uni, sondern bei den Menschen vor Ort. Sie müssen überlegen, wie sie anhand von Projekten und kleinen Initiativen Menschen erreichen, die im Moment dem Populismus folgen. Denn wissen und forschen sind wichtig – aber sein Wissen zu teilen, ist ebenso wichtig!“

Und auch, wie ein solch kleines Projekt ‚zum Teilen‘ aussehen könnte, weiß Yilmaz schon ganz genau: „Ich wünschte mir, dass die Uni Leistungspunkte für soziales Engagement vergeben würde“, sagt sie und ausnahmsweise wird ihre sonst so feste Stimme ein bisschen leiser, während sich Medine Yilmaz vorstellt, was es bedeuten könnte, wenn jeder einen kleinen Anteil an einer besseren und vielfältigeren Welt hätte.

Der Beitrag „Ich würde zu gern über die gemeinsamen Ängste sprechen!“ Medine Yilmaz engagiert sich für kulturelle Vielfalt und die Gleichberechtigung von Frauen erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>
Wenn die Welt zu Gast ist: Dietlinde Schmalfuß-Plicht unterstützt internationale Studierende in Erfurt https://weltbeweger.uni-erfurt.de/2019/11/05/dietlinde-schmalfuss-plicht/ Tue, 05 Nov 2019 09:29:02 +0000 https://weltbeweger.uni-erfurt.de/?p=1057 „Wir reisen nicht gern in die Welt – aus ökologischen Gründen“, erklärt Dietlinde Schmalfuß-Plicht. „Aber wir haben die Welt sehr gern bei uns zu Gast.“ Und deswegen öffnet die Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek Erfurt immer wieder Gästen aus aller Welt nicht... Weiterlesen →

Der Beitrag Wenn die Welt zu Gast ist: Dietlinde Schmalfuß-Plicht unterstützt internationale Studierende in Erfurt erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>
„Wir reisen nicht gern in die Welt – aus ökologischen Gründen“, erklärt Dietlinde Schmalfuß-Plicht. „Aber wir haben die Welt sehr gern bei uns zu Gast.“ Und deswegen öffnet die Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek Erfurt immer wieder Gästen aus aller Welt nicht nur Haus und Hof, sondern auch Herz und Seele: Seit 2007 beteiligt sie sich am Programm „Fremde werden Freunde“ – einer gemeinsamen Initiative der Erfurter Hochschulen sowie der Stadtverwaltung und des Thüringer Instituts für Akademische Weiterbildung. Ziel des Programms ist es, ausländischen Studierenden in Erfurt den Einstieg in den „deutschen Alltag“ zu erleichtern und ihnen fernab der Heimat „ein Gefühl von zuhause“ zu vermitteln.

Ein solches Gefühl haben in den vergangenen zwölf Jahren immerhin schon sechs ‚Patenkinder‘ bei Schmalfuß-Plicht und ihrer Familie gefunden: Gemeinsam gestalten sie die Freizeit, helfen bei der Orientierung in der fremden Stadt und meistern gelegentlich auch schon einmal die Herausforderungen deutscher Bürokratie. „Einmal hatten wir einen iranischen Doktoranden als Patenkind. Der hatte bei unserem ersten Treffen auch prompt einen Brief von der Versicherung dabei“, erinnert sich die Patin lachend.

Wie sehr das Angebot angenommen werde, das sei von Patenkind zu Patenkind verschieden, erzählt sie. Man könne ja auch vorher nicht wissen, was für einem Menschen man da begegne. Doch an einem Angebot zur Gemeinschaft mangele es keinesfalls: Über die individuellen Betreuungsverhältnisse hinaus treffen sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programms zweimal im Jahr zu gemeinsamen Unternehmungen: Schlauchbootfahren auf der Saale zum Beispiel. Oder aber Sommerrodeln auf dem Inselsberg.

„Der Umgang mit Menschen anderer Kulturen verändert auch mein eigenes Denken.“

Dietlinde Schmalfuß-plicht

Aus einigen der Bekanntschaften, die Dietlinde Schmalfuß-Plicht und ihr Ehemann im Rahmen des Programms „Fremde werden Freunde“ geknüpft haben, entwickelten sich zum Teil tatsächlich langjährige Freundschaften: Mit einem Lächeln auf den Lippen erinnert sie sich an eine junge Frau aus Rumänien, die seinerzeit an der Willy Brandt School studierte. Heute arbeitet sie in Brüssel für die Europäische Union; spricht nur noch wenig Deutsch. Trotzdem ruft sie jedes Jahr zu den Geburtstagen ihrer einstigen Pateneltern an. Auch ihre eigene Mutter habe sie schon mit ihnen bekannt gemacht. „Das war ihr wichtig.“

Ein anderer Freund ist ein junger Iraner, der heute in Hamburg lebt und dort mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat – genau der, der damals den Brief von der Versicherung im Gepäck hatte. „Bis heute fragt er jedes Jahr an, ob er uns an Weihnachten besuchen und gemeinsam mit uns feiern kann. Und dass, obwohl er Moslem ist!“

An die internationalen Weihnachtsfeste, die Familie Schmalfuß-Plicht den vergangenen Jahren gefeiert hat, erinnert sich die Bibliotheksmitarbeiterin besonders gern. „Wie nennen es unsere ‚muslimische Weihnacht‘“, erzählt sie schmunzelnd. „Denn obwohl wir Christen sind und mein Mann selbst evangelischer Pfarrer ist, haben wir meist überwiegend muslimische Gäste um den Tannenbaum sitzen.“

Genau das ist es, was Schmalfuß-Plicht so mag: Wenn verschiedene Kulturen und Brauchtümer aufeinandertreffen und der eine vom anderen etwas Neues lernen kann. Auch, weil sie selbst an diesem Austausch wächst: „Der Umgang mit Menschen anderer Kulturen verändert mein eigenes Denken“, erklärt die studierte Philosophin, die parallel zu ihrer Tätigkeit an der Universität Erfurt eine philosophische Praxis in Erfurt besitzt. Dort bietet sie Menschen die Möglichkeit zum Dialog an. Regelmäßig lädt sie auch zu einem „Philosophischen Salon“ ein.

„Es ist ganz wichtig, sich über die fremde Kultur erzählen oder sie sich vorleben zu lassen.“

Dietlinde Schmalfuß-plicht

Im Kern ähneln sich ihre Arbeit in der philosophischen Praxis und das Programm „Fremde werden Freunde“ dabei sehr: Beide wollen im Austausch bleiben über verschiedene Weltanschauungen und Überzeugungen, über Ideen sowie Fragen des Werdens, des Seins und des Vergehens. Auch ihre internationalen Gäste nehmen das Angebot der philosophischen Praxis gelegentlich wahr, freut sich die Praxisinhaberhin: „Einmal hat ein Studierender selbst einen philosophischen Salon gestaltet“, erzählt sie. Es sei an diesem Abend um das Denken und das Weltbild des Islams gegangen. Ein im Zuge von globaler Migration und Flüchtlingskrise andauernd aktuelles Thema.

Das Programm „Fremde werden Freunde“ bietet damit nicht nur Studierenden aus aller Welt Halt und Stabilität. Auch die Universität, die Stadt Erfurt und natürlich die Menschen, die hier leben und sich im Programm engagieren, können von dem Austausch profitieren: „Ich denke, dass man Vorurteile abbauen kann, wenn man die Menschen persönlich kennenlernt. Es ist ganz wichtig, sich über die fremde Kultur erzählen oder sie sich vorleben zu lassen“, sagt Dietlinde Schmalfuß-Plicht.

Auch sie selbst habe – bei aller Erfahrenheit im internationalen Umgang – durchaus Themen, an denen sie auch nach vielen Kontakten noch immer „knabbere“. Der Ramadan zum Beispiel. Zwar sei ihr als Christin das Konzept der Fastenzeit keineswegs fremd, erklärt sie. Jedoch erscheine es ihr widersinnig, am Tag weder essen noch trinken zu dürfen, dafür aber bei Nacht. „Es fällt mir schwer, dafür Verständnis aufzubringen. Gerade wegen der gesundheitlichen Risiken. Aber man muss derlei fremde Bräuche auch tolerieren und annehmen können.“

Genau das ist es, was für Dietlinde Schmalfuß-Plicht den Kern einer Freundschaft ausmacht: „Ich verstehe unter Freundschaft, dass ich jemanden auch sein lassen kann, wie er eben ist. Und dass man nicht immer seine eigene Ansicht aufstülpen muss. Das ist auch das, was zu ‚Fremde werden Freunde‘ gehört.“

Der Beitrag Wenn die Welt zu Gast ist: Dietlinde Schmalfuß-Plicht unterstützt internationale Studierende in Erfurt erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>
„Wir wollen Kindeswohl auf Tagesordnungspunkt eins unserer Agenda haben!“ Myriam Wijlens setzt sich international für den Kinderschutz ein https://weltbeweger.uni-erfurt.de/2019/10/25/weltbewerger-myriam-wijlens/ Fri, 25 Oct 2019 10:59:10 +0000 https://weltbeweger.uni-erfurt.de/?p=1012 Regelmäßig wird sie von fremden Menschen angesprochen. An Bahnhöfen zum Beispiel. Oder auch schon einmal zwischen Kartoffeln und Zwiebeln im Supermarkt: Sie sei doch die Frau, die für den Papst arbeite. Die, die sich für den Kinderschutz engagiere. Wenn man... Weiterlesen →

Der Beitrag „Wir wollen Kindeswohl auf Tagesordnungspunkt eins unserer Agenda haben!“ Myriam Wijlens setzt sich international für den Kinderschutz ein erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>
Regelmäßig wird sie von fremden Menschen angesprochen. An Bahnhöfen zum Beispiel. Oder auch schon einmal zwischen Kartoffeln und Zwiebeln im Supermarkt: Sie sei doch die Frau, die für den Papst arbeite. Die, die sich für den Kinderschutz engagiere. Wenn man sie darauf anspricht, dann freut das Prof. Dr. Myriam Wijlens. Denn es zeigt, dass die Arbeit der Theologin nicht nur im Dunstkreis der katholischen Kirche wirkt, sondern dass sie dort ankommt, wo sie ankommen soll: nicht allein bei Kirche und Klerus, sondern auch bei ganz alltäglichen Menschen – Menschen, wie man sie eben an Bahnhöfen oder in Supermärkten trifft.

Die Kirchenrechtlerin der Universität Erfurt engagiert sich umfassend im internationalen Kinder- und Jugendschutz. „Seit mehr als 30 Jahren bin ich an dem Thema dran“, sagt sie. Weit bevor die großen kirchlichen Missbrauchsskandale durch die deutschen Medien rollten also. Weit vor der MHG-Studie von 2018. Weit vor „Spotlight„, dem Medienspektakel, das 2002 tausendfachen sexuellen Missbrauch durch römisch-katholische Priester in den USA an die Öffentlichkeit brachte und die Kirche anschließend international in eine schwere Krise stürzte. Eine Krise, die bis heute nicht ausgestanden ist.

Wijlens betrachtet die Krisenherde dabei sowohl auf internationaler als auch lokaler Ebene: In den späten 1980er Jahren engagierte sie sich zunächst in Kanada. Dort mussten Leitlinien für Bischöfe, denen konkrete Hinweise auf Fälle sexuellen Missbrauchs im eigenen Bistum vorlagen, entwickelt werden. Mitte der 1990er Jahre war sie an der Entwicklung ähnlicher Richtlinien für die katholische Kirche in den Niederlanden beteiligt. 2004 schließlich wurde die Theologin erstmals auch von einem deutschen Bischof damit beauftragt, einer Anzeige aus kirchenrechtlicher Perspektive nachzugehen. Im Jahr darauf zog die Bundesstaatsanwaltschaft in Irland sie als Expertin in einem laufenden Gerichtsverfahren bezüglich fahrlässigen Handelns durch kirchliches Leitungspersonal hinzu.

„Wir wollen Institutionen vertrauen können.“

Prof. Dr. Myriam Wijlens

In mehr als 100 Verfahren war Prof. Wijlens inzwischen tätig. Sie geht dabei stets konkreten Fällen nach und bereitet notwendige Akten für den Vatikan vor. Basierend auf dieser umfassenden Erfahrung ernannte sie Papst Franziskus im vergangenen Jahr zum Mitglied der „Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen“. Als Kommissionsmitglied ist es ihre Aufgabe, den Bischof von Rom in Fragen des Kinderschutzes zu beraten: In Kooperation mit Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachbereichen spricht die gebürtige Niederländerin Handlungsempfehlungen im Hinblick auf Missbrauchsprävention, Opferschutz sowie den Ablauf eines Verfahrens und allgemeine Strukturen der Kirche aus. Begriffe wie Aufklärung, Transparenz, Rechenschaft, Rechte von Opfern und Beschuldigten im Verfahren stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Papst Franziskus, Myriam Wijlens
Bildrechte: Servizio Fotografico Vaticano

Die besondere Schwere des Missbrauchs durch Kleriker ergibt sich für Wijlens dabei aus dem „Vertrauensvorschuss“, den Gläubige der Kirche als moralischer Institution gewähren: „Wenn ein Kind nach der Schule einen Klassenkameraden zum Spielen besuchen möchte“, versinnbildlicht sie, „dann werden seine Eltern zumeist erklären: ‚Ich rufe mal kurz bei der Mutter an, um zu fragen, ob das in Ordnung ist‘. Im Grunde aber wollen die Eltern damit wissen, wohin ihr Kind eigentlich geht, also: Was ist das für eine Familie? Kann ich mein Kind diesem Umfeld anvertrauen? Wenn das Kind dagegen sagt, dass es nach dem Unterricht noch zum Spielen in die Pfarrgemeinde möchte, dann lassen die Eltern das in aller Regel ohne weitere Rückfragen zu. Da erkundigt man sich nicht, wer dort gerade ‚Dienst‘ hat. Weil es schließlich ‚die Kirche‘ ist. Weil wir Institutionen vertrauen wollen.“

Doch eben diese Vertrauensfrage stellt sich nicht nur in der Kirche. Sie stellt sich auch in Krankenhäusern, in Universitäten, in Schulen oder im Sportverein – kurzum: in jeglichen Institutionen und Einrichtungen, in denen Beziehungen zwischen Menschen notwendigerweise strukturiert und geordnet werden müssen. In jede dieser Strukturen sei dabei auch stets ein Mindestmaß an Vertrauen eingewoben, betont die Theologin. Vertrauen nämlich gegenüber jenen Menschen, die die Institution repräsentieren. „Und dieses Vertrauen kann missbraucht werden“, so Wijlens. „Zum einen direkt durch die Menschen, die vor Ort tätig sind. Zum anderen aber natürlich auch durch diejenigen, die Verantwortung für die Strukturen der jeweiligen Institution tragen. Für letztere geht damit auch die Frage einher, wie Sie mit ihrer Macht und Leitungsverantwortung im Hinblick auf etwaige Anschuldigungen zu Missbrauchsfällen umgehen. Es stellt sich dann etwa die Frage, wie mit konkreten Beschuldigungen umzugehen ist, während gleichzeitig die vertrauenswürdige Außendarstellung der Institution aufrecht erhalten bleiben soll.““

„Ich will zeigen, dass die Theologie etwas leisten kann.“

Prof. Dr. Myriam Wijlens

Aus diesem Grund betrachtet die Kirchenrechtlerin Aspekte des Kinder- und Jugendschutzes nicht allein im Kontext der Religion. Sie will den Blick öffnen – für sich selbst, aber auch für andere. Und sie will zeigen, dass „die Theologie etwas leisten kann.“ Dass sie etwas zu sagen hat, auch in kirchenfernen Anwendungsbereichen. Deswegen bietet Myriam Wijlens an der Universität Erfurt seit vielen Jahren gleich zwei Lehrveranstaltungen zum Thema Kinder- und Jugendschutz an: Im Rahmen des Seminars „Missbrauch in Institutionen“ sowie in der Vorlesungsreihe „Kindeswohl: Rechte – Schutz – Förderung“ will sie Studierende für das Thema sensibilisieren und sie zum eigenverantwortlichen und selbstwirksamen Umgang mit Missbrauchsprävention ermächtigen.

Besonders erfreut ist die Professorin dabei über die große Heterogenität der Studierenden, die in ihren Lehrveranstaltungen zusammenfinden: „Sie kommen zum Beispiel aus den Staatswissenschaften, aus der Pädagogik und aus dem Lehramt“, erzählt sie. „Ich habe pro Semester mehr als 130 Studierende in diesen Lehrveranstaltungen sitzen, die nichts mit Theologie zu tun haben, die aber von den Überlegungen der Theologie lernen wollen.“

Und zu lernen gibt es viel, davon ist Myriam Wijlens überzeugt. Und für jeden etwas Anderes: Studierende der Rechtswissenschaften animiert sie dazu, mit einem Richter des Landgerichtes Erfurt in Kontakt zu treten. Der wiederum lädt Studierende häufig dazu ein, Prozessverhandlungen vor Gericht beizuwohnen. Nirgendwo ließe sich besser zeigen, dass dort auf der Anklagebank in aller Regel „keine Monster“ sitzen, sondern gewöhnliche Menschen, wie man sie „auch im Biergarten treffen“ könne. „Wir werden dort mit falschen Bildern in unseren Köpfen konfrontiert, die wir korrigieren müssen“, betont die Kirchenrechtlerin. Studierende der Psychologie fordert Prof. Wijlens indes dazu auf, sich mit Methoden zu befassen, wie ein fünfjähriges Kind zu vernehmen und seine Aussage auf einen Wahrheitsgehalt zu prüfen sei. Studierende der Sportwissenschaft spricht sie darauf an, welche Ausbildung ihnen selbst als zukünftigen Trainerinnern und Trainer im Hinblick auf Missbrauchsprävention zuteil geworden sei. „Meist nicht allzu viel“, resümiert sie. Denn Kinderschutz sei „so lange ein blinder Fleck, bis etwas passiert.“

Eben dieser blinde Fleck ist es, gegen den die Professorin angehen möchte. Sie will ein Bewusstsein für das oftmals weithin unsichtbare Problem schaffen und Prävention vor die Reaktion setzen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihres Seminars erhalten deshalb seit einigen Semestern ein Zertifikat, das ihnen ein erfolgreich absolviertes Präventionstraining im Umgang mit Missbrauchsfällen bescheinigt. Auf diese Weise möchte Prof. Wijlens Studierende zum proaktiven Handeln ermächtigen – etwa indem sie sich weiterführend in Kinderheimen engagieren, in pädagogischen Fördereinrichtungen oder auch in der Kinderambulanz eines Krankenhauses.

„Wir müssen die Bilder in unserem Kopf korrigieren.“

Prof. Dr. Myriam Wijlens

Denn der Kirchenrechtlerin ist es ein zentrales Anliegen, dass Resultate ihrer Arbeit nicht nur in Theologie und Kirche sichtbar werden, sondern auch in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext: „Ja, ich mache das auch für die Kirche“, sagt sie. „Aber die Kirche ist ein Vehikel für mich. Ein Vehikel, in dem meine Expertise anerkannt wird. Aber das, was wir in der Kirche in der Aufarbeitung und der Prävention von Missbrauchsfragen leisten können, sollte einen Transfer in die ganze Gesellschaft erleben. Und genau dazu kann und muss die katholische Kirche etwas beitragen. Wir müssen sagen: ‚Wir wollen Kindeswohl auf Tagesordnungspunkt eins unserer Agenda haben!'“

Dass Wijlens Kinderschutz dabei im Großen wie im Kleinen denkt, zeigt sich als sie abschließend den Blick von Rom zurück nach Erfurt wendet: „Ich halte es für wichtig, dass ausgerechnet ich als Mitglied der Katholisch-Theologischen Fakultät im Senat der Universität Erfurt sitze und dort die Frage aufwerfe, was wir auch hier ganz konkret vor Ort für den Kinderschutz tun; hier an unserer eigenen Universität, an der wir auch für und mit Kindern forschen!“ Vor Ort sein und vor Ort handeln – das ist der Theologin ein wichtiges Anliegen. Ein Anliegen, in dem sie sich jedes Mal aufs Neue bestärkt fühlt, wenn sie wieder einmal von fremden Menschen auf offener Straße auf ihr Engagement im Kinderschutz angesprochen wird.

Der Beitrag „Wir wollen Kindeswohl auf Tagesordnungspunkt eins unserer Agenda haben!“ Myriam Wijlens setzt sich international für den Kinderschutz ein erschien zuerst auf Weltbeweger.

]]>